[Buch] Der Speichelbaum (1965)

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(in: Wolfgang Jeschke (Hrg.): Aufbruch in die Galaxis, Wilhelm Heyne Verlag, München 1980)

Literarischer Steampunk - im Sinne von pseudo-historischer Phantastik - brauchte eine beträchtliche Zeit, um sich durchzusetzen und erfolgreich zu werden. Die erste "Welle" in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, verebbte weitgehend folgenlos. Eines der frühesten Beispiele dieses "Gonzoismus" floss schon in den sechziger Jahren aus der Feder ausgerechnet eines der wesentlichen Protagonisten der "New Wave" der Science Fiction-Literatur - des Briten Brian W. Aldiss (1925 - 2017).

Der junge Gregory Rolles und sein Freund Bruce Fox beobachten von einem Hügel nahe eines Dorfes in East Anglia aus eines Nachts den Absturz eines Meteors, der in der Nähe des Bauernhofs der Familie Grendon niederzugehen scheint. Gregory ist neugierig - und, nebenher, Nancy, der Tochter des Bauern, durchaus zugetan - und macht sich am Folgetag auf, um nach dem Landeplatz Ausschau zu halten. Tatsächlich scheint der Meteor, laut Nancy "ein Ding wie ein Ei" im Teich neben dem Bauernhof versunken zu sein. Gregory rudert mit einem Boot auf das kleine Gewässer hinaus und wird dabei von einer unsichtbaren, "weichen" und "nachgiebigen" Macht beinahe ins Wasser gestoßen. Panisch kehrt er ans Ufer zurück ... und kommt schnell zu dem Schluss, sich das Erlebnis nur eingebildet zu haben.

Das ist freilich erst der Beginn einer Reihe merkwürdiger Vorfälle. Die Knechte sprechen von einem "Geist", der an ihnen vorbei in den Stall geht und das Vieh berührt; der Hofhund wird von einer unbehannten Macht durch die Luft geschleudert und getötet. Merkwürdiger, stinkender Tau bedeckt das Hofgelände, und bald konnt es zu ungewöhnlicher Fruchtbarkeit bei Tieren und Pflanzen auf dem Grendon-Hof: Die Tüpel quellen geradezu über vor Kaulquappen, Sperlinge legen mehr als ein halbes Dutzend Eier, und keine Sau wirft weniger als 14 Ferkel. Gregory ist beunruhigt, aber der alte Grendon kann sein Glück kaum fassen ...

Aldiss war, wie später Christopher Priest (*1943), der Autor von The Space Machine (1976, dt. Sir Williams Maschine) und The Prestige (1995, dt. Das Kabinett des Magiers/Prestige: Die Meister der Magie), Vizepräsident der H. G. Wells Society, und Herbert George Wells (1866 - 1946) zollt er mit seiner Novelle auch ausdrücklich  Tribut. Wells ist ein Brieffreund des Protagonisten, und Gregory berichtet ihm schriftlich alles, was geschieht ... und bringt damit unausgesprochen die Saat aus, die zu Werken wie The Invisible Man (1897, dt. Der Unsichtbare), The War of the Worlds (1898, dt. Der Krieg der Welten) und The Food of the Gods and How It Came to Earth (1904, dt. Die Riesen kommen!) führt. Natürlich ist es tatsächlich Aldiss, der Inspiration aus diesen Werken zieht und mittels seines Protagonisten eine neue Ursprungsgeschichte produziert. Heutzutage ist ein solcher Dreh ganz und gar nicht ungewöhnlich und auch in vielen Filmen und Serien erprobt, aber 1965 dürfte er in der Science Fiction-Literatur vergleichsweise revolutionär gewesen sein.

Als eine weitere Inspiration von Alsiss muss übrigens The Colour Out of Space (1927, dt. Die Farbe aus dem All/Das Ungeheuer aus dem Weltraum) von H. P. Lovecraft (1890 - 1937) genannt werden. Und Aldiss' feine Novelle The Saliva Tree macht Lust darauf, alle diese Werke wieder einmal zur Hand zu nehmen.

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