Ein Vorspiel

 

Eine Kurzgeschichte von Horatius Steam

Und der junge Herr will wirklich da auf den Berg hinauf?“ Der Stationsvorsteher sah mich über seine Brillengläser an. Ich nickte. „Aber da ist es nicht geheuer! Sehen Sie, es geht schon wieder los. Immer das gleiche Spiel, erst schwarzer Rauch und dann dieser blaue Schein.“ Mit zitterndem Finger wies der Alte zur Burg hinauf. Ich lachte, klopfte ihm auf die Schulter und blickte hinauf zur Burg meines guten Freundes Dr. Frank.

Aus dem hohen Schornstein der ehemaligen Schmiede drang dichter, schwarzer Rauch. Stoßweise, wie bei der Lokomotive, die nach dem etwas zittrigen Pfiff des Stationsvorstehers, aus dem Bahnhof puffte. Kurze Zeit später hörte man ein Sausen und um den alten, ca. 30 Meter hohem Turm begann bläuliches Licht zu spielen.

Hat der verrückte Peter tatsächlich das Ding gebaut?“ Murmelte ich. Zum Vorsteher gewandt sagte, ich: „Aber bewahre, guter Mann. Das ist kein Hexenwerk, sondern pure Wissenschaft.“

Ich griff meinen Koffer, wuchtete meinen Rucksack über und begann den ziemlich steilen Weg zur Burg hinauf zu klettern. Je näher ich kam, umso deutlicher wurde die Anordnung. Auf mächtigen Isolatoren war eine große Metallkugel über dem Dach des Turmes gespannt. Bei näherem hinsehen sah man, dass sie aus dünnem, grauen Metall zusammengenietet war. Ein wohl daumendicker Draht führte von der Spitze der Kugel, an mannshohen Isolatoren in ein Nebengebäude. Bläulicher Schimmer huschte über die Kugel und den Draht entlang. Es roch nach Ozon und aus dem Nebengebäude zuckten weiße Lichtblitze.

Dann stand ich vor der Tür, betätigte den Klopfer und wie ein Kanonenschuss drang sein Donnern über den Hof. Keine Reaktion. Ich klopfte heftiger und öfter. Dann endlich ließ das Sausen nach, der blaue Schimmer verschwand und man hörte den scharfen Knall einer elektrischen Entladung. Ich blickte auf meine Taschenuhr und erschrak. Sie war stehen geblieben. Mit was für Kräften musste Peter da drinnen hantieren?

Das Fallgatter hob sich und ich betrat den Innenhof. Aus einer Seitentür kam Peter Frank heraus und lachte: „Schön, dass Du da bist. Komm erst mal herein. Haben die Hamburger Metallwerke das Sintermetall hergestellt?“ Ich nickte und wuchtete den Rucksack wieder von der Schulter. Wir betraten den Torbau durch die kleine Seitentür und ich stelte den Rucksack auf den grossen, alten Eichentisch an dem früher einmal die Wachen gesessen haben mochten.

Peter öffnete de Rucksack und holte mehrere, in Wachspapier eingewickelte Gegenstände heraus, legte sie auf einen, bereitstehenden Laborwagen und schlug mit auf die Schulter. „Meine geheime Mischung, gepresst mit 4000 Tonnen bei exakt 479 Grad. Hoffentlich!

Ich danke Dir, dass Du das für mich erledigt hast, ich hoffe der Rest wird genau so gelingen. Aber zuerst wird gegessen, dann zeige ich Dir die Anlage und dann kann das Experiment starten.“

Eine üppige und ländliche Mahlzeit später stand ich mir offenem Mund am Boden des alten Turmes.

Eine 4 Meter breite und 2 Meter dicke Walze stand in wuchtigen, geerdeten Lagern gegründet auf dem massiven Steinboden. Ein Kamm aus massivem Kupfer lief parallel zur Rolle, ebenfalls fest mit dem Boden verbunden. Dicke Kupferleitung verschwanden im Boden. Über die Rolle lief ein ebenfalls 2 Meter breites, mit Gummi beschichtetes Baumwollband bis unter die Turmspitze. Dort in der gigantischen Kugel befand sich ebenfalls eine Walze und ein Kupferkamm. Nur waren diese, wie die Kugel auf grossen Isolatoren befestigt.

Ich sah Peter an: „Ein Van de Graf? Spannnung?“ Peter zuckte die Schultern: „Es ist nicht mehr messbar!“ Ich dachte an meine Uhr und nickte langsam während ich mich weiter umblickte.

Von der unteren Rolle lief eine Welle zur alten Schmiede. Dort stand eine deckenhohe Dampfmaschine mit 12 Zylindern. Je vier Hoch- Mittel- und Niederdruck- Zylinder waren mit einem Schnellerhitzer verbunden. Ein Dampfbläser fachte die Steinkohle auf den Schüttelrosten zu wahrer Höllenglut an. Eine Förderanlage beschickte das Monstrum automatisch mit Kohle. Eine Speisewasserpumpe versorgte den Kessel mit Wasser aus dem Brunnen. Zur Zeit lief die Anlage im Leerlauf. Bösartig zischten die Überdruckventile und die Luft im Raum war schwer, feucht und heiß vom Abdampf. Es roch nach Kohle, Öl und heissem Metall. Es roch nach gigantischer, gebändigter Kraft.

Ich folgte Peter in das Labor. Eine Röhre schwebte an einem Kran über einem dicken, Porzellanteller, in den, in der Mitte eine geerdete Kupferplatte eingelassen war. Oben in der Röhre, war eine Durchführung eingeschmolzen. In der Röhre befand sich eine Elektrode aus einem dunklen, unbekanntem Metall. Durch das Glasdach führte der Draht, von der Kugel des Van de Graf Generators, über mächtige Isolatoren zu der mannshohen Röhre aus zentimeterdickem Glas. Peter zeigte darauf: „Die Elektrode, das Sintermetall und das Gasgemisch in der Röhre sind mein Geheimnis. Komm Per, lass uns anfangen!“

Peter holte eines von den Päckchen, wickelte es aus dem Wachspapier, legte es auf die Kupferelektrode und ließ die Röhre in die Dichtungen des Porzellantellers herab. Jetzt bemerkte ich eine gepanzerte Leitung, die von dem Teller , am Boden entlang zu einer Maschine an einer Wand des Raumes führte. Peter deutete darauf und meinte lächelnd: „Das neueste aus Jena, eine Wasserstrahl - Vakuum Pumpe für die erste Stufe, für die zweite Stufe eine Quecksilber – Verdrängungspumpe. Die Luft muss fast vollständig raus, damit das Gas wirkt. Theoretisch!“

Ein Hebeldruck und im Nebenraum lief die Dampfmaschine an, langsam mit leichtem Schüttern, dann runder und flüssiger. Die Bläser fauchten und ich hörte die Kohle Beschickung rumpeln.

Zur Zeit läuft die Maschine nur auf die Wasser und Quecksilberpumpen mit ¼ Kraft“ Peter schrie gegen das Rauschen der Vakuumpumpen an. Ich versuchte mir gar nicht auszumalen, was wäre wenn das Monstrum in der Schmiede mit voller Kraft laufen würde.

Peter beobachtete gespannt die Messgeräte, nach ein paar Minuten schloss er einen Hahn an der Röhre, und öffnete einen anderen. Die Röhre füllte sich beinahe Blitzartig mit einem grün, blau schillerndem Gas. Der Gashahn wurde geschlossen und die Maschine von den Pumpen gekuppelt.

Es ist soweit!“ Peter sah mich mit brennenden Augen an. Er kuppelte die Maschine auf den“ Van de Graf“ und stellte die Gebläse auf Maximum. Mit beiden Händen drehte er die Dampfzufuhr auf.

Im Turm begann das Band über die Walzen zu laufen. Ladung baute sich auf und wurde in die Kugel transportiert. Mit jedem Bandumlauf erhöhte sich die Ladung und die Maschine musste schwerer arbeiten. Das Donnern des Abdampfes wurde lauter und lauter. Peter erhöhte die Drehzahl Stück für Stück und beobachtete gespannt die Röhre. Diese füllte sich langsam mit Licht. Aber nicht das kühle, helle Licht, wie man es von den Gasentladungslampen des Herrn Rühmkorf kannte. Nein, ein windendes, zuckendes, gequält aussehendes Licht mit einer unirdischer rötlichen Färbung.

Dann zuckte ein dünner, grell rot leuchtender Faden aus der Elektrode in das Sintermetall. Flackerte erst unstet hin und her und bildete dann eine konstante und still stehende Säule mit kugelförmigen Ausbuchtungen und engen Einschnürungen. Einer Sinuswelle gleich. „Es funktioniert!“ schrie mein Freund voller Freude und Triumph. „Das Gas bündelt die Energie zu einem Entladungsfaden und das Sintermetall frisst die Energie! Es bildet sich eine stehende Welle! Endlich Erfolg!“

Drei Stunden ging das Spiel so weiter. Immer wieder musste Peter etwas von seinem geheimnisvollen Gas in die Röhre strömen lassen. Ich musste die Drehzahl stabil halten, die Maschine überwachen. Voller Sorge blickte ich auf die Kohlenbunker die sich rapide leerten.

Im Turm tobte die Hölle. Das Band sauste und summte, blaues Leuchten zuckte und waberte in der Kugel. Es stank nach Ozon und heissem Gummi.

Nach drei Stunden riss der Energiefaden, in der Röhre, mit lautem Knall ab.

Peter winkte zu mir herüber. Gemeinsam drosselten wir den Dampf für die Maschine, dämpften das Feuer und erdeten die Restladung des Van de Graf Generators. Mit lautem Knall suchte sich die Restenergie einen Weg in den Boden. In der Schmiede knackte die Maschine und kühlte langsam ab.

Peter pumpte das restliche Gas aus der Röhre und betätigte den Kran. Mit einem Knacken löste sich die Röhre aus der Dichtung und wir blickten auf das Stück Metall in der Mitte. Es schimmerte düster, als wenn eine unheimliche Kraft in ihm lauerte. Peter klemmte sich eine Lupe an das Auge, nahm eine Diamantklinge und schnitt ein winzige Stäubchen vom Sintermetall und lies es in ein Röhrchen fallen. Er winkte mit ihm zu folgen.

Im Hof stand ein Gestell, einer Lafette gleich. Darauf lag eine Röhre aus Metall, 2 Meter lang und so dick wie mein Arm, Ringe umspannte die Röhre als wenn sie eine gewaltige Kraft einschliessen müssten. „Es dauert 2 Minuten, bis die Energie frei wird!“ Peter schraubte die Kappe der Röhre ab und füllte sie mit simplem Wasser.

Das untere Ende der Röhre war mit einer Glasplatte verschlossen und das Ende der Röhre lief trichterförmig aus. Er lies das Stäubchen in die Röhre fallen und schraubte sie sorgfältig zu. „Nach ungefähr zwei Minuten wird die Energie des Metalls frei. Alles Wasser wird schlagartig verdampfen, das Glas am Ende wird bersten und dann....“ Peter schwieg. „Was dann?“ Fragte ich atemlos. „Na na, die Gesetze Newtons kennst Du doch hoffentlich noch, oder?“ Fragte Peter zurück und zog mich hinter eine Mauer.

Man hörte ein Bersten, ein ohrenbetäubendes Fauchen, der Hof füllte sich mir heissem Dampf und das Geschoss war fort.

Gelungen, es ist gelungen!“ Peter jubelte. Er führte mich in das Labor, zeigte auf das Stück Metall und sagte lachend: “Der grösste Energiespeicher der Welt, und dabei unendlich leicht!“

Er nahm eine wasserdichte Kassette, packte das Stück Metall hinein und drückte mir die Kassette in die Hand. „Für euren Wagen, macht was draus!“

Am anderen Tag saß ich wie betäubt im Zug zurück nach Haus, wirre Ideen von Raketenantrieben im Kopf......

 

Diese Geschichte ist ein Geschenk an die Ausstellung Machina Nostalgica.

 

Die Geschichte war als 2D Barcode während der Ausstellung im Museum verteilt. Hatte man alle Barcodes gesammelt.

konnte man die Geschichte lesen.

Alle Rechte verbleiben bei Jochen Enderlein aka Horatius Steam.

Inspiriert von den Werken Hans Dominiks

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